Dunkle Wolken brauten sich anfangs des Jahres zusammen. Die Welt wurde von einer Pandemie ungeahnten Ausmaßes erfasst, wie es sie seit der „spanischen Grippe“ vor gut 100 Jahren nicht mehr gegeben hat. Damals fielen der Pandemie weltweit bis zu 50 Mio. Menschen zum Opfer. Um vergleichbare Horroszenarien zu verhindern, reagierte die Politik mit drastischen Beschränkungen von persönlichen Freiheiten und des gesamten Wirtschaftslebens. Betroffen davon waren und sind alle Branchen, die eine mehr und die andere weniger. Flächendeckende Firmenzusammenbrüche durch das systematische Herunterfahren der Wirtschaft wurden zunächst durch staatliche Hilfsmaßnahmen, wie die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes, wie Stundungen von Mieten, Steuern und Sozialbeiträgen, wie einmalige Zuschüsse oder staatlich verbürgte Sonderdarlehen vermieden. Für konkret Corona-Betroffene – allerdings auch nur für diese – wurde zudem vorsorglich die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt, zunächst bis Ende September und sodann eingeschränkt noch bis Jahresende.

Der Mittelstand ist klar im Nachteil

Doch diese vorübergehenden Rettungsaktionen erfolgten überwiegend „auf Pump“. Gestundete Zahlungen müssen ebenso wie in Anspruch genommene Darlehen bei Fälligkeit zurückgezahlt werden. Zudem werden Unternehmen nach Ende der Pandemie und dem Wiederaufleben der Wirtschaft Mittel zur Anschubfinanzierung benötigen, die ihnen bei der angewachsenen Verschuldung kaum jemand zur Verfügung stellen wird. Deshalb rechnet die Expertenwelt mit einer anrollenden Pleitewelle. Uneinig ist man sich noch über den Zeitpunkt. Hauptleidtragend wird wie gewöhnlich der Mittelstand sein, und darunter vor allem die kleinen und mittleren Betriebe.

Dies vor Augen beeilt sich die Politik derzeit sehr mit der Umsetzung einer EU-Richtlinie über ein strukturiertes Sanierungsverfahren außerhalb der Insolvenz. Strukturierte Sanierung ist in Deutschland nicht neu. Seit 2012 erfreut sich das Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung (ESUG), mit dem es in aller Regel gelingt, dem Unternehmer sein Unternehmen zu erhalten, wachsender Beliebtheit. Der „Pferdefuß“ ist dabei, dass dies nur innerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens zu realisieren ist und den schwarzen Anzug für den Gang zum Insolvenzgericht scheuen viele deutsche Unternehmer nach wie vor wie der Teufel das Weihwasser. Begründet ist dies schon lange nicht mehr. Nur eine neue Sanierungskultur braucht Jahre, um in den Köpfen zu wachsen.

Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz

Bereits zum 1. Januar 2021 soll das Gesetz zur Stabilisierung und Restrukturierung von Unternehmen (StaRUG) in Kraft treten. Das dort geregelte Verfahren dient dazu, eine Insolvenz gerade zu verhindern, steht folglich auch nur drohend zahlungsunfähigen, nicht aber bereits zahlungsunfähigen oder überschuldeten Unternehme(r)n zur Verfügung.

Wichtig ist, dass der Schuldner stets Herr über das Verfahren ist. Nur er kann es initiieren und notfalls auch wieder beenden, wenn der gewünschte Erfolg auszubleiben droht. Ziel des Verfahrens ist es, eine (finanz)wirtschaftliche Krise mittels Sanierungsbeiträgen von Gläubigern, vorzugsweise aber auch vom Schuldner selbst abzuwenden. Dies kann nach den Vorstellungen der EU im Idealfall auch ohne gerichtliche Beteiligung, schnell, schlank und still erfolgen. In der Praxis wird es vermutlich nicht so ohne weiteres ohne gerichtliche Hilfe gehen. Denn schon mit einem einzigen widersprechenden Gläubiger kann der ganz Plan kippen und nur noch mit gerichtlicher Hilfe gerettet werden.

Gleichwohl kann es das Schuldnerunternehmen erst einmal auf eigene Faust versuchen und einen Restrukturierungsplan erstellen, in dem sich die Historie, die Gründe für die Krise, die angestrebten Schritte aus der Krise heraus sowie die dafür erbetenen Beiträge der Gläubiger finden. Pflichtbestandteile sind immer auch eine Erklärung zur Bestandsfähigkeit, eine Vermögensübersicht und eine integrierte Finanzplanung. Planbetroffene Gläubiger können in unterschiedliche Gruppen eingeteilt und ihnen können Stundungen, Verzichte, Änderungen von Zahlungskonditionen oder gar die Beendigung von Vertragsverhältnissen abverlangt werden. In Arbeitnehmerrechte oder -vertragsverhältnisse darf allerdings nicht eingegriffen werden. Allein zum Personalabbau ist das Verfahren somit nicht geeignet.

Anders als beim Eigenverwaltungsverfahren in der Insolvenz müssen hier nicht sämtliche Gläubiger, sondern können auch ausgewählte Gläubiger oder Gläubigergruppen einbezogen werden, wie bspw. nur Banken, nur Vermieter oder nur Lieferanten.

Über den Restrukturierungsplan wird unter den Planbetroffenen nach vorheriger Erörterung in einem separaten Termin abgestimmt. Der Plan ist angenommen, wenn in jeder Gläubigergruppe mindestens 75% zustimmen. Maßgeblich dabei ist nicht die Anzahl der Gläubiger, sondern die Höhe deren Forderungen (also Summenmehrheit, keine Kopfmehrheit). Wird in einer Gruppe oder mehreren die erforderliche Mehrheit nicht erreicht, ist das Verfahren keineswegs gescheitert. Es besteht nämlich die Möglichkeit, fehlende Zustimmungen durch gerichtlichen Beschluss ersetzen zu lassen. Dies setzt voraus, dass zum einen die Hälfte aller Gruppen – bei zwei Gruppen reicht eine – dem Plan zugestimmt hat und zum anderen die ablehnenden Gläubiger mit der Planlösung nicht schlechter fahren als ohne sie.

Der Schuldner kann im Übrigen nach seiner Wahl jederzeit gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen; sei es für den eben genannten Zustimmungsbeschluss,
  • für die Klärung sämtlicher Verfahrensfragen im Wege einer Vorprüfung,
  • für das Erwirken einer Stabilisierungsanordnung, mit dem der Schuldner zunächst für drei Monate Vollstreckungs-, Verwertungs- und Kündigungsschutz genießt.

Wird der Schuldner während einer gerichtlich anhängigen „Restrukturierungssache“ doch noch zahlungsunfähig, ist er nicht zur Insolvenzantragstellung verpflichtet. Er muss dies nur dem Gericht anzeigen, und dieses entscheidet sodann über die Fortsetzung des Restrukturierungsverfahrens.

Das Verfahren kann allerdings durch das Gericht aufgehoben werden, wenn sich eine klare Ablehnungshaltung bei den Planbetroffenen abzeichnet und die Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung schwinden. Ansonsten ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit eine förmliche Planbestätigung durch das Gericht anzustreben.

Unter bestimmten Voraussetzungen kann vom Gericht ein in Sanierungssachen erfahrener “Restrukturierungsbeauftragter“ hinzugezogen werden, der damit betraut werden kann, den Schuldner bei der Planerstellung und Verfahrensdurchführung zu unterstützen, aber auch damit, den Schuldner zu kontrollieren, um Missbrauch zu verhindern.

Ob dieses neue Verfahren dazu geeignet sein wird, die erwartete Corona-Insolvenzwelle zu vermeiden oder abzuschwächen, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall aber bietet dieses Verfahren die Chance, sich außerhalb eines Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern auf eine Lösung zur Sanierung und zum Erhalt seines Betriebes oder Unternehmens zu verständigen, und dies um einiges kostengünstiger und unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Unternehmensleitung muss stets auf dem Laufenden sein

Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass mit dem neuen Verfahren auch eine nicht unerhebliche Haftungsverschärfung für die Unternehmensleitung verbunden sein wird.

Künftig ist jeder Geschäftsleiter dazu verpflichtet, Frühwarnsysteme zum rechtzeitigen Erkennen einer Krise zu installieren und zu nutzen. Die Geschäftsleitung muss fortwährend über bestandsgefährdende Entwicklungen wachen und bei Eintritt einer Krise geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Dies allein klingt noch nicht so überraschend. Neu ist indes, dass die Geschäftsleitung in der Krise künftig primär die Interessen der Gläubiger und nur noch sekundär die Interessen des eigenen Unternehmens oder dessen Gesellschafter zu vertreten und zu wahren hat.

Verschärft sich die Krise, haftet künftig jeder Geschäftsleiter für Fehlverhalten unmittelbar gegenüber geschädigten Gläubigern. Bislang bestand eine solche Haftung nur gegenüber dem eigenen Unternehmen. Dies macht künftiges Agieren in Krisensituationen deutlich schwieriger, weil die Geschäftsleitung bald zwei Herren wird dienen müssen und es vermutlich nie beiden wird Recht machen können. In einer Krisensituation wird somit sehr umsichtiges, verantwortungsvolles und haftungsbewusstes Verhalten geboten sein.

Die Welt ist im Wandel – bleiben Sie nicht nur gesund, sondern auch achtsam!