Distressed M&A
Chancen und Risiken des Unternehmensverkaufs in der Krise
In Zeiten anhaltender wirtschaftlicher Unsicherheiten rücken M&A-Aktivitäten von sanierungsbedürftigen oder insolventen Unternehmen (sog. „Distressed M&A“) in den Fokus von Gesellschaftern, Geschäftsführern, Investoren und Insolvenzverwaltern. Für spezialisierte Finanzinvestoren und für strategische Investoren können Krisenfälle besondere Marktchancen zum Ausbau des eigenen Portfolios beinhalten. Für die in Schieflage geratenen Unternehmen kann der Einstieg eines Investors den Erhalt des Unternehmens und eines Großteils der Arbeitsplätze, für Gläubiger und Gesellschafter die Rettung von großen Teilen ihres investierten Kapitals bedeuten. Angesichts der vielfältigen Krisen in der Eurozone ist zu erwarten, dass die Relevanz dieses Bereichs weiter zunehmen wird.
Dieser kurze Leitfaden erläutert die wesentlichen Prämissen des Distressed M&A-Prozesses und der damit verbundenen Chancen und Risiken für die Beteiligten.
Das Wesentliche in Kürze
- Die Abkürzung M&A steht für die englischen Begriffe Mergers & Acquisitions und wird auf Deutsch mit „Fusionen und Übernahmen“ übersetzt
- Distressed M&A bezeichnet den Kauf oder Verkauf von Unternehmen innerhalb einer finanz- oder leistungswirtschaftlichen Krise
- Charakteristisch für Distressed M&A ist die hohe Komplexität der Transaktionen sowie der in der Regel bestehende Handlungs- und Zeitdruck, da sich das Unternehmen bereits in einem Stadium der Krise befindet
- Distressed M&A-Käufe oder -Verkäufe können sich auf das gesamte Unternehmen, eine bestimmte Anzahl von Anteilen oder auch einzelne Vermögenswerte beziehen
- Distressed-M&A-Transaktionen können im Vorfeld einer Insolvenz oder aus der Insolvenz heraus erfolgen
- Es gibt eine Vielzahl von Beteiligten an Unternehmensübernahmen in Krisensituationen, u. a. die Arbeitnehmer, der Betriebsrat, die Beiräte, Gesellschafter und Hauptfinanzgeber wie Banken und Lieferanten. Aber auch die Kunden, die Gläubiger, der Insolvenzverwalter und potenzielle Investoren sind Beteiligte
- Zu den Käufern zählen regelmäßig Investoren aus dem In- und Ausland oder der liquiditätsstarke Wettbewerb
1. Was versteht man unter „Distressed-M&A“?
„Distressed M&A“ bezeichnet vereinfacht ausgedrückt den Verkauf von Unternehmen oder Unternehmensteilen in der Krise.
Unternehmensübernahmen aus Krisensituationen weisen einige Besonderheiten auf:
Zum einen können insolvenzrechtliche Vorschriften sowohl innerhalb eines Insolvenzverfahrens als auch bereits unmittelbar vor einer Insolvenz den Unternehmenskauf beeinflussen. Zum anderen beeinflussen die Interessenslagen externer Parteien wie Banken, Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten diese Transaktionen. Zeitdruck und eine möglichst genaue Kenntnis der Krisenursachen spielen eine entscheidende Rolle für eine erfolgreiche Transaktion und damit auch für die Sanierung des Zielunternehmens.
2. Wesentliche Erfolgsfaktoren
Im Vorfeld einer Distressed M&A-Transaktion sind insbesondere zwei wesentliche Faktoren zu berücksichtigen: der Zeitpunkt der Transaktion sowie die Struktur, in der die Transaktion erfolgen soll.
3. Mögliche Transaktionsstrukturen
Die Transaktion kann entweder im Wege eines Share-Deals oder eines Asset-Deals erfolgen.
a) Asset-Deal
Beim Asset-Deal wird der Geschäftsbetrieb durch Übertragung aller oder spezifischer Vermögensgegenstände verkauft. Dies ermöglicht dem Käufer, ausgewählte Assets zu erwerben („Cherry-Picking„), und bietet gleichzeitig die Möglichkeit verdeckte Risiken zu meiden. Ein Nachteil dieser Methode ist jedoch die Notwendigkeit neue Vertragsverhältnisse zu etablieren oder Übernahmen mit den Vertragspartnern zu verhandeln, was in der Kürze der Zeit eine Herausforderung darstellen kann (z. B. bei Vermietern und Lieferanten).
b) Share-Deal
Bei einem Share-Deal werden die Geschäftsanteile verkauft und somit das gesamte Unternehmen inklusive aller Rechtspositionen und Verbindlichkeiten übernommen. Diese Methode vereinfacht die Übertragung und ermöglicht die Fortführung bestehender Verträge oder den Erhalt behördlicher Erlaubnisse, die an den Rechtsträger gebunden sind. Jedoch übernimmt der Käufer bei einem „vorinsolvenzlichen“ Share-Deal auch alle existierenden Verbindlichkeiten des Unternehmens, inklusive verdeckter Risiken. Die Übernahme existierender Verbindlichkeiten stellt gerade beim Kauf in Krisenfällen einen erheblichen Nachteil dar, sodass diese Transaktionsstruktur deutlich seltener zur Anwendung kommt. Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens kann dieser Nachteil unter bestimmten Voraussetzungen mit Vorlage eines Insolvenzplans durch die eigenverwaltende Schuldnerin/Insolvenzverwalter beim Share-Deal ausgeräumt werden.
4. Allgemeiner Prozessablauf
Jede Distressed M&A-Transaktion weist sicherlich ihre spezifischen Besonderheiten auf. In der Praxis hat sich dennoch ein typischer Ablauf für den Unternehmensverkauf in Krisensituationen herauskristallisiert. Dieser Prozess gliedert sich üblicherweise in drei Phasen: Vorbereitung, Vermarktung sowie Verhandlung / Closing. Zeitlich erstreckt sich dieser Prozess in der Regel über einen Zeitraum von 10 bis 18 Wochen.
a) Vorbereitungsphase
Während der Vorbereitungsphase wird in der Regel ein Informationsmemorandum erstellt und gleichzeitig nach potenziellen Investoren gesucht. Das Informationsmemorandum dient den Interessenten als zentrales Informationswerkzeug. Es umfasst die Darstellung des Unternehmens, seiner Märkte, der strategischen Ausrichtung und finanziellen Lage. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Darstellung der Krisensituation und die mögliche einzigartige Verkaufsposition des Unternehmens gelegt. Parallel zur Erstellung des Memorandums wird eine „Longlist“ potenzieller Investoren zusammengestellt, die sowohl strategische als auch finanzielle Akteure umfasst, die potenziell an einer Übernahme interessiert sein könnten. Gerade in Krisenzeiten ist eine umfassende Ansprache des Marktes entscheidend, um einen passenden Käufer für den Erwerb des Unternehmens zu finden.
b) Vermarktungsphase
An die Vorbereitungsphase knüpft direkt die Vermarktungsphase des Unternehmens an. Ein zentraler und möglicherweise entscheidender Schritt in dieser Phase ist die „Management Presentation“ für Interessenten, deren erstes indikatives Angebot als interessant eingestuft wird. Für den Kaufinteressenten bietet diese Präsentation im Rahmen des M&A-Prozesses die erste Gelegenheit, die Schlüsselpersonen im Unternehmen kennenzulernen und sich ein umfassendes Bild über das Management und die operativen Abläufe zu machen.
Die Due-Diligence-Phase erlaubt es dem potenziellen Käufer, die wirtschaftlichen, rechtlichen und finanziellen Gegebenheiten des Unternehmens gründlich zu untersuchen und sein Angebot zu konkretisieren. In Situationen, die von finanzieller Not geprägt sind, konzentriert sich die Prüfung neben den historischen Daten vor allem auf zukünftige Perspektiven und Möglichkeiten zur Optimierung der Geschäftsprozesse.
Wesentliche Prüfungspunkte sollten dabei umfassen:
- Analyse des Geschäftsmodells – Chancen und Risiken
- Verständnis der Krisenursachen
- Analyse von Finanzierungs- und Restrukturierungspotenzialen
- Analyse der Liquiditätssituation und Liquiditätsplanung: Ermittlung des Finanzierungsbedarfs für Investitionen und Betriebsmittel, Liquiditätsplanung
- Analyse von Lieferanten- und Kundenbeziehungen und der wesentlichen Vertragsverhältnisse sowie der Finanzierungsverträge
- Erarbeitung eines neuen Businessplans
- Darstellung der angedachten Transaktionsstruktur
c) Verhandlungen und Closing
Auf Grundlage der abgegebenen verbindlichen Angebote unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus der Due Diligence und der Preisvorstellungen beider Parteien finden die Verhandlungen über den Kaufpreis und die Vertragskonditionen statt. In Krisensituationen ist dabei oft ein hohes Maß an Schnelligkeit und Flexibilität erforderlich, um das Unternehmen erfolgreich aus der Krise zu steuern. Das Closing kennzeichnet den formalen Abschluss des M&A-Geschäfts. In dieser entscheidenden Phase werden die vereinbarten Bedingungen umgesetzt und die Eigentumsrechte gehen auf den Käufer über
5. Welche Qualifikationen sind für die Durchführung erforderlich?
Für die erfolgreiche Durchführung eines „Distressed M&A-Prozesses“ sind insolvenzrechtliche und betriebswirtschaftliche Expertisen entscheidend. Erfahrene Berater für Sanierungen und Restrukturierungen können den Prozess optimal begleiten. Unsere fachkundigen Expertinnen und Experten der plenovia stehen Ihnen hier gerne zur Seite. Im juristischen Bereich arbeiten wir in Regelinsolvenzverfahren, Eigenverwaltungsverfahren oder Schutzschirmverfahren eng mit den Spezialisten unserer Schwestergesellschaft BBR Buchalik Brömmekamp Rechtsanwälte zusammen. In interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Sanierungsexperten und Fachanwälten für Insolvenz- und Sanierungsrecht entwickeln wir ganzheitliche und nachhaltige Lösungen, die rechtlich, steuerrechtlich sowie betriebs- und finanzwirtschaftlich aufeinander abgestimmt sind und somit eine optimale Übertragung gewährleisten.
6. Fazit und Handlungsempfehlung
Für Investoren bergen Distressed M&A-Transaktionen sowohl Chancen als auch nicht zu unterschätzende Risiken. Die Herausforderungen sind vielfältig und reichen von der Komplexität insolvenzrechtlicher Vorschriften über die Berücksichtigung der Interessen externer Parteien bis hin zur Notwendigkeit einer zügigen und doch aussagefähigen Due Diligence.
Die erfolgreiche Umsetzung von Distressed M&A-Deals erfordert dabei eine sorgfältige Vorbereitung, die Identifikation und angemessene Bewertung potenzieller Risiken und Chancen sowie eine strategische Herangehensweise an die Transaktionsstruktur und das Timing. Die Bereitschaft, in die notwendige Due Diligence zu investieren, und die Fähigkeit, schnell und flexibel auf Veränderungen zu reagieren, sind dabei essenziell. Voraussetzung für den Erfolg ist eine umfassende Kenntnis der spezifischen Herausforderungen, die solche Transaktionen mit sich bringen, sowie eine vorausschauende Planung und Durchführung der Akquisition. Es ist daher empfehlenswert, für eine solche Transaktion entsprechende auf Krisensituationen spezialisierte Berater hinzuziehen.