Regelmäßig lesen wir über die neuesten Exzesse auf dem Finanzmarkt oder über skandalträchtige Verfehlungen einzelner Spitzenmanager, die unser Vertrauen in eine gerechte Soziale Marktwirtschaft und in deren Führungskräfte spürbar beeinträchtigen. Gerade solche Zeiten bieten den Anlass und die Chance, sich der ursprünglichen Bedeutung, der Aufgabe und der Verantwortung der Wirtschaftsteilnehmenden in unserer Gesellschaft wieder bewusst zu werden. Unternehmer und Unternehmen, die langfristig und erfolgreich am Markt agieren, schaffen Arbeitsplätze, versorgen die Gesellschaft mit Gütern und Dienstleistungen, zahlen Steuergelder für Bund und Länder und sind sozial engagiert. So kann ein ehrbares Wirtschaftshandeln, welches nicht in einem Widerspruch mit dem Streben nach Erfolg und Gewinn stehen muss, die Grundlage für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg bilden. Können die Tugenden eines Ehrbaren Kaufmanns im 21. Jahrhundert eine Renaissance erleben?

Seit dem 12. Jahrhundert hat sich in Europa das Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns als Grundpfeiler des gemeinsamen Wirtschaftens etabliert. Seine Anfänge nahm diese Kaufmannsbewegung im norddeutschen Städtebund der Hanse und verbreitete sich in den folgenden Jahrhunderten in ganz Europa. Bereits im frühen 16. Jahrhundert definierte ein gewählter Vorstand der Hamburger Seehandelskaufleute Leitlinien dafür, dass „alles Notwendige zu des Kaufmanns Nutzen [zu] fördern [sei] und Nachteile [zu] verhüten [seien]”. Zu den ursprünglichen Aufgaben des Ehrbaren Kaufmanns gehörte die Verteidigung des freien Handels nach außen und innen, d.h. gegen äußere Feinde und Handelspartner ebenso, wie die Sicherung der Ordnung und des fairen Wirtschaftens in den eigenen Reihen. Bald etablierte sich, ausgehend aus den Gebieten des Deutschen Bundes, der Begriff des Ehrbaren Kaufmanns als Grundsatz für Wirtschaftsethik unter Kaufleuten in ganz Mitteleuropa.

Ehrbare Kaufmannstugenden als Auslaufmodell? 

Der Begriff des Ehrbaren Kaufmanns ist zugegebenermaßen etwas angestaubt, die Ideen dahinter sind es ganz sicher nicht. Auch der ehrbare Kaufmann des Mittelalters musste in seiner Zeit stets innovativ und zukunftsgerichtet agieren, um mit den wandelnden Marktgegebenheiten Schritt zu halten. Ist die Ehre des Kaufmanns im Zeitalter der Digitalisierung, Globalisierung und des sich immer schnellen wandelnden Wettbewerbes noch von Bedeutung? Gilt für die Manager von heute, die in gläsernen Geschäftshochhäusern arbeiten noch die gleiche kaufmännische Ethik, wie für den Einzelhändler eines Mittelaltermarktes oder wird dieser Begriff nur noch als nostalgisch belächelt?

Im 21. Jahrhundert stellt die Gesellschaft vielfach andere und neue Rahmenbedingungen an den Markt. Insbesondere die Themen Globalisierung, Finanztransaktionen oder die Entfernungen der Transport- und Handelswege sind die Herausforderungen des modernen Unternehmers. Aber um im heutigen Wirtschaftsleben zu bestehen ist die Ehrbarkeit im direkten wirtschaftlichen Handeln unter Wirtschaftspartnern auch im 21. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung. Man übernimmt Verantwortungsbewusstsein gegenüber seinen Mitarbeitern, Geschäftspartnern und Kunden und agiert freiheitlich orientiert und weltoffen. Abmachungen können auch heute noch am Ende mit einem Handschlag besiegelt, welcher für beide Seiten verbindlich sein sollte. Ehrbare Kaufleute dienen als Vorbildfunktion in ihrem unternehmerischen Handeln, denken langfristig und agieren nachhaltig.

Das Fundament bildet dabei die humanistische Grundbildung, auf dessen Basis der Kaufmann die bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung entwickeln soll. Darauf aufbauend benötigt jeder Ehrbare Kaufmann ein umfassendes wirtschaftliches Fachwissen. Das fachliche Wissen wird ergänzt durch einen gefestigten Charakter, der sich an Tugenden orientiert, die die Wirtschaftlichkeit fördern, u.a. an Sparsamkeit, Weitblick, Ehrlichkeit, Mäßigkeit, Entschlossenheit, Fleiß, und Gerechtigkeit. Diese Tugenden stärken die eigene Glaubwürdigkeit, die Vertrauen schafft – ein „Muss“ für jede gute Geschäftsbeziehung. Der feste Charakter schützt den Kaufmann auch vor unüberlegten Handlungen, um sich kurzfristig auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen. Bei einem Ehrbaren Kaufmann sind Wirtschaft, Ethik und Moral nicht voneinander zu trennen, sie sind zu einer Einheit verschmolzen, mit dem Ziel erfolgreich und „menschlich“ zu wirtschaften.